Wir leben in einer Welt ständiger Aktivität. Dabei lehren uns Philosophen ebenso wie die moderne Hirnforschung: Nichtstun ist wichtig für Erfolg, Glück und inneren Frieden.
Warum sträuben wir uns dann so dagegen?
Muße war für die alten Griechen die Voraussetzung für Glück. Eine Zeit, in der man nicht unter Erfolgsdruck steht. Für die Mehrheit ist das Leiden an der Zeitnot das größte Übel der modernen Gesellschaft. Wenn man Statistiken Glauben schenken darf, ist jeder überlastet: Mitarbeiter und Chefs, Schüler und Lehrer, Kinder und Eltern, Frauen und Männer. Eine Studie der Universität Neuenburg schätzte die Kosten in der Schweiz auf jährlich vier Milliarden Franken, unter anderem für Arbeitsausfälle und Behandlungskosten
Muße hat keinen Zweck, ist aber trotzdem sinnvoll.
Sie zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie keinen bestimmten Zweck hat, und wir sollten auch der Versuchung widerstehen, sie „verzwecken“ zu wollen. Wie schwer uns das fällt mit unseren Schuldgefühlen, zeigt sich im Anwachsen der Wellness- und Ratgeber Industrie: Wir sollen nicht nur dasitzen, sondern meditieren. Ein Spaziergang wird zum Power Walking, ein gemeinsames Essen zum Power Lunch. Selbst das Banalste und Unvermeidlichste bekommt noch eine Aufgabe übergestülpt: Wenn wir schon atmen, dann bitte bewusst.
Nichtstun ist eine Ergänzung des Schlafs, den wir uns am liebsten ebenfalls verkürzen wollen, um „aktiver“ zu sein. Schweizer schlafen heute im Schnitt 38 Minuten weniger pro Nacht als vor 30 Jahren. Die Folgen beider Phänomene sind bekannt: Überlastung, Stress, ständige Müdigkeit, Erschöpfung.
Nichtstun, auch wenn die Arbeit schon immer unendlich war.
Meine Spitzensportler, die ich trainiere und coache, kennen den Wert des Nichtstuns: Es sind die Ruhepausen zwischen den Trainings, in denen sich Muskeln wieder reparieren und wachsen. Wer die Pausen streicht, hat nicht mehr Erfolg, sondern weniger: Wir brauchen diese Wellenbewegung aus Anspannung und Ausruhen.
Am 7.Tag sollst du ruhen.
Sechs Tage sollst du arbeiten, am siebten Tag sollst du ruhen, heißt es schon im Alten Testament, selbst zur Zeit des Pflügens und des Erntens sollst du ruhen. Übersetzt für 2015 würde das heißen: Mach mal frei, auch wenn viel Arbeit ansteht! Sonntag durfte man früher nicht Klavier üben, nur spielen – das ist ein großer Unterschied. Üben ist Arbeit, spielen dagegen ist Leben, Spaß.
Nichtstun heißt Nachdenken.
Das Sabbatical ist der moderne Versuch, all die verpassten Momente des Nichtstuns nachzuholen, zusammengepresst in einige Wochen und Monate. Meist sind auch sie wieder voller Aktivitäten. Nichtstun ist die allerschwierigste Beschäftigung und zugleich diejenige, die am meisten Geist voraussetzt, sagte Oscar Wilde. Nichtstun erfordert Nachdenken über uns selbst und unser Tun, nicht nur reagieren.
Über viele Jahre hat uns die Zeitmanagement – Welle dazu trainiert, alles zu vermessen und zu vergleichen, Fitnessuhren und Armbänder und die dazugehörigen Apps haben das gleiche mit unserem Körper getan: Immer mehr schaffen in der gleichen Zeit, denn länger sind die Tage bei allem Fortschritt nicht geworden!
Nichtstun schiebt all das beiseite: Man nimmt sich einen Tag pro Woche frei, auch wenn so viel zu tun wäre, man schaltet das Telefon aus, auch wenn noch wichtige Nachrichten eingehen, man plant nichts, auch wenn man alles planen könnte. Ein Verzicht mit dem Wissen, dass er ein Gewinn ist!
Wer auf Pausen verzichtet, arbeitet schlechter
Am Ende des Tages wird der Körper sich sowieso nehmen, was er braucht. Wer sich das Nichtstun sparen will, bezahlt mit mangelnder Konzentration, abgelenkt sein, am Ende mit schlechter Arbeit, die nur noch Routine ist, ohne Schwung, Spaß und Ideen. Diverse Studien haben das bestätigt, beispielsweise von der Baylor Universität im US Bundesstaat Texas.
Wie sieht das Nichtstun praktisch aus? Sie könnten sich pro forma etwas vornehmen, angeln, lesen, spazieren gehen, ausruhen, sich aber zu nichts zu verpflichten und kein Ergebnis erwarten. Legen sie das Handy beiseite oder lassen Sie es ganz daheim. Eventuell schlafen Sie ein, träumen sich mit offenen Augen weg, oder Sie sehen sich einfach nur die Landschaft an. Und können sich in aller Ruhe sagen: Wer mal nichts tut, kann alles erreichen. Viel Spaß beim Nichtstun!